VW Käfer: Über Mexikos Liebe zum buckligen „Vocho“

Stand:28.07.2023, 15:33 Uhr
Von: Klaus Ehringfeld
(Mit freundlicher Genehmigung der Frankfurter Rundschau hier bereitgestellt.)

Der letzte VW Käfer läuft im Juli 2003 in Mexiko vom Band. © Andrew Winning/afp

Vor 20 Jahren lief in Mexiko der letzte VW Käfer vom Band. Das kleine Kraftpaket ebnete den Weg für das Herstellerland Mexiko – heute siebtgrößter Autobauer der Welt.

Es ist schwer, auf Mexikos Straßen noch einen VW Käfer zu finden. Das frühere Kultauto der Mexikanerinnen und Mexikaner mit dem dröhnenden Boxermotor ist 20 Jahre nach Ende der Herstellung in dem Land fast völlig aus dem Straßenbild verschwunden. Manchmal sieht man noch eine liebevoll gepflegte Version eines der vielen Käfer-Fanclubs, ein Exemplar der letzten himmelblauen Edition oder einen aus Einzelteilen resteverwerteten „Vocho“, wie die Mexikaner den Käfer immer liebevoll nannten. Aber man muss schon lange suchen, bis man noch irgendwo ein „Volkswägelchen“ zu Gesicht bekommt.

Außer man geht in die alte Silberstadt Taxco im Bundesstaat Guerrero, da ist das kugelige Kraftpaket wegen seiner Fähigkeit, die engen und steilen Straßen hochzufahren, bis heute als Taxi unentbehrlich.

Wer lange genug in Mexiko lebt, erinnert sich an die Zeiten, als es in der Hauptstadt praktisch keine anderen Taxis als die zweitürigen Käfer gab. Mal waren sie gelb-weiß lackiert, dann grün-weiß, dann wieder golden. Aber sie waren stets verfügbar und bequem. Der Beifahrersitz war immer ausgebaut und man nahm gemütlich auf der Rückbank Platz. Dem ikonischen Taxi widmete sogar der Spielzeughersteller Matchbox ein eigenes Modell.

VW Käfer und Mexiko, das passt

Mexiko und der Käfer. Diese Beziehung hielt fast ein halbes Jahrhundert. Als der Bucklige in Deutschland allmählich aus der Mode kam, stieg er in Mexiko gerade erst zum Symbol für eine mobile Gesellschaft auf. 1967 rollten die ersten Exemplare in Puebla, 120 Kilometer südöstlich von Mexiko-Stadt vom Band. Damit begründete er in Mexiko zum einen die Erfolgsgeschichte für den Wolfsburger Autobauer, der hier eines der größten Werke des Konzerns hat. Der Vocho legte aber auch das Fundament für Mexiko als globalen Automobilstandort. Heute ist das nordamerikanische Land der siebtgrößte Hersteller der Welt, gleich hinter Deutschland.

Das Prinzip Käfer hat die Menschen in 20 Ländern auf allen fünf Kontinenten überzeugt: Südafrika, die Philippinen, Australien, Costa Rica, Uruguay und Venezuela. Fast überall wurde der Volkswagen gefertigt oder wenigstens montiert – insgesamt 22 Millionen Mal. In Deutschland war bereits 1978 Schluss, in Brasilien 1996. Danach wurde er nur noch in Mexiko gebaut, wo ihm bis zum Schluss große Zuneigung entgegengebracht wurde. Bis 1986 wurden die „Mexiko-Käfer“ auch nach Deutschland exportiert.

Zu Mexiko gehörte das Auto schließlich so untrennbar wie Tacos und Tequila. Und irgendwann waren die Menschen auch davon überzeugt, dass der Vocho kein deutsches, sondern ein mexikanisches Auto sei.

VW Käfer in Mexiko: Zufälliger Beginn einer Erfolgsgeschichte

Dabei begann seine Erfolgsgeschichte eher zufällig. Auf der ersten Deutsch-Mexikanischen Industrieausstellung 1954 wurden auch ein paar Volkswagen präsentiert. Anschließend nahmen sieben von ihnen an einer über 3000 Kilometer langen Wettfahrt vom Südosten des Landes bis an die Grenze zu den USA teil. Alle Käfer liefen und liefen und liefen ohne Probleme ins Ziel – der Mythos vom unkaputtbaren Auto war auch in Mexiko geboren. Aber der Käfer musste sich seinen Platz in einem von großen US-Autos dominierten Markt erst erkämpfen. „Eishobel“ spotteten die Mexikaner zu Anfang über den rundlichen Zweitürer.

Die Autoindustrie treibt Mexikos Wirtschaft an. © picture alliance / photothek

Aber später lernten sie die Vorteile des Autos zu schätzen. „Es lässt dich nie im Stich, ist leicht zu reparieren und kommt überall lang“ – so beteten Hunderttausende Käferfahrerinnen und -fahrer die Vorteile herunter. Im besten Käfer-Jahr 1993 waren von 395 000 in Mexiko verkauften Autos 95 000 Vochos.

Marktführer in Mexiko

Ein Vierteljahrhundert war der Käfer konkurrenzlos Marktführer in Mexiko. Das änderte sich erst im Laufe der 1990er Jahre, nachdem sich mit dem Nordamerikanischen Freihandelsabkommen Nafta auch der Automarkt in Mexiko öffnete. Die Nachfrage ging kontinuierlich zurück. Setzte VW im Jahr 2000 noch 40 510 Käfer ab, waren es 2002 nur noch halb so viel. Zwar war der Käfer mit einem Preis von rund 6500 Euro immer noch das günstigste Auto. Aber für rund eintausend Euro mehr bekam man damals schon einen viertürigen Wagen mit mehr Komfort.

Und so war nach 35 Jahren Produktion und 1,7 Millionen Vochos am 30. Juli 2003 endgültig Schluss. Zuletzt rollte eine Nostalgie-Edition vom Band mit Weißwandreifen, verchromten Zierleisten, Hutablage und Sonderlackierung. Die letzten Käfer sollten an die frühen Versionen des Kultautos erinnern.

Mexiko: Autoland auch dank des VW Käfer

Zum Schluss wirkte der Käferbau in Puebla wie Kunsthandwerk im Vergleich zu den modernen Fertigungsanlagen, mit denen in dem Werk moderne Autos für die ganze Welt zusammengebaut wurden. Arbeiterinnen und Arbeiter im Blaumann setzten wie in Gründertagen jeden Käfer von Hand zusammen, verschweißten Türrahmen und Dachteile. Schutzmaske und Schweißbrenner waren die einzigen Hilfsmittel. Im Ein-Schicht-Betrieb von montags bis freitags liefen in Puebla zuletzt noch rund 53 Käfer pro Tag vom Band.

Aber der kleine runde VW hinterließ ein bleibendes Erbe. Er war in gewisser Weise Geburtshelfer für die Autoindustrie des Landes, eine der erfolgreichsten Branchen, die Mexikos Wirtschaft auch heute auf Kurs hält. Das nordamerikanische Land ist nicht nur siebtgrößter Produzent, sondern auch viertgrößter Exporteur der Welt. Vergangenes Jahr liefen in 22 Fahrzeugfabriken von 14 Herstellern insgesamt 3,5 Millionen Fahrzeuge vom Band, ein Plus von 11,55 Prozent gegenüber dem Vorjahr.

Mexiko ist siebtgrößter Autohersteller

Künftig könnte Mexiko sogar Deutschland den Platz als sechstgrößter Produzent streitig machen. Der US-Elektroautobauer Tesla beginnt in Kürze mit dem Bau einer Gigafactory nahe der Metropole Monterrey im Norden Mexikos. Das Investitionsvolumen beläuft sich auf fünf bis zehn Milliarden Dollar. Schon 2024 soll das erste Fahrzeug dort vom Band laufen.

Mit der Ansiedlung von Tesla „bekräftigt Mexiko seine führende Position bei der Herstellung und dem Export von Fahrzeugen in die ganze Welt“, sagte José Zozaya, Chef des mexikanischen Verbands der Automobilindustrie Amia. „Diese Investition wird weitere anziehen“, unterstrich der AMIA-Präsident.

Auch der Münchner Automobilkonzern BMW investiert 800 Millionen Euro in sein Werk in San Luis Potosí in Zentralmexiko. Dort sollen unter anderem von 2027 an vollelektrische Autos hergestellt werden. Zudem will BMW im Land ein Montagezentrum für Hochvoltbatterien bauen.

Die Ansiedlung von Tesla und BMW kommt zu den acht Elektrofahrzeugfabriken hinzu, die bereits im Land tätig sind und zu denen globale Automobilriesen wie General Motors und Ford gehören. Auch Audi will in seinem mexikanischen Werk bei Puebla perspektivisch den Q5 als Elektroversion herstellen.

Und besonders der Käferschöpfer Volkswagen ist heute im mexikanischen Markt einer der größten Player. Die Fabrik in Puebla ist das größte Automobilwerk in Mexiko und nebenbei auch eines der größten Werke im Kosmos des Konzerns. In Puebla arbeiten 13 500 Arbeiterinnen und Arbeiter. 2021 wurden in Puebla insgesamt 294 408 Fahrzeuge zusammengebaut. Aktuell werden dort die Modelle Jetta, Taos und die Langversion des Tiguan produziert. Zudem fertigt das Unternehmen in einem eigenen Werk in Silao seit zehn Jahren Motoren.